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BEWUSST SEIN       Natur     Mensch


APPERZEPTION Bewußtes Erfassen von Erlebnis-, Wahrnehmungs- und Denkinhalten. PHILISTRÖS Spießbürgerlich, Muckerhaft, Engstirnig. PHILLUMENIST Sammler von Zündholzschachteletiketten.

Philiströse Phillumenisten sterben nicht aus. Wohl die Anwendung des Begriffes Apperzeption. Im DUDEN für Fremdwörter/für Herkunftswörter, im ehemals ehrwürdigen BROCKHAUS, selbst in WIKIs ruhen sie gut: die Begriffe, ihre Inhalte, ihre Kontextrealitäten.

Werte, immaterielle wie materielle, schaffen sich nicht von alleine. Sie entstehen in Köpfen, dem Ort von Gedanken, von Ideen, sie werden durch Menschen entwickelt, verbessert, transportiert, ausgetauscht ... ihre Grundlage ist die Einstellung: die Einstellung zu, bestimmt die Sicht über, aus der dann Art und Weise des Handelns, des Nichthandelns folgen. Und woraus leitet sich eine Einstellung ab?

Das Wort Bewusstsein wurde von Christian von Wolff als Lehnübersetzung des lateinischen conscientia geprägt. Christian Freiherr von Wolff - *1679 †1754, deutscher Universalgelehrter, Jurist, Mathematiker - war einer der wichtigsten Philosophen zwischen Leibniz und Kant, Begründer der terminologischen Grundlegung der deutschen Philosophie, bedeutendster Vertreter des Naturrechts.

Das "Sociolexikon - Gesellschaft, Lexikon der Grundbegriffe" des Projektes socioweb (ab 2001) der Fachhochschule Nordostniedersachsen (In 2005 Fusion mit der Universität Lüneburg zur Stiftungs-Universität, heute Leuphana-Universität Lüneburg) bietet zwei Definitionen des Begriffs Bewusstsein:

[ Zitation: Bewusstsein ... bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, Vorgänge in der Außenwelt und im eigenen Innern wahrzunehmen und letztere in Form von Selbstbeobachtung einzusetzen und für selbstgesteuertes Verhalten zu nutzen. Bewusstsein wird als typisch menschliche Eigenschaft oft als Kriterium zur Unterscheidung von Mensch und Tier angeführt. Sein Bewusstsein hilft dem Menschen, so komplexe Tätigkeiten wie Nachdenken, Planen, Vergleichen, Urteilen u.ä. auszuführen. Unter kritischem Bewusstsein, das auch als Bewusstheit bezeichnet wird, versteht man die Fähigkeit, die gesellschaftlichen Bedingungen und Faktoren zu reflektieren, die die eigene soziale Lage bestimmen. ]

[ Zitation: Bewußtsein ... klare Vorstellung von den eigenen Empfindungen, Erlebnissen und Gedanken. Ein falsches Bewußtsein hat jemand, der nicht in der Lage ist, die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse und damit auch die eigene Stellung in der Gesellschaft zu erkennen. ]

Apperzeption braucht ein Sich bewusstes Sein für das Erfassen, das bewusste, von Erlebnis-, Wahrnehmungs-, Denkinhalten. Bemerkenswert hierbei ist: Ein Gedanke umfasst eine Zeitspanne von drei Sekunden - für einen neuen Eindruck, für das sinnliche Wahrnehmen, für die Einbettung in ein Gehirn, für das Bewusstsein des Werdens, des Verwerfens im Hier, im Jetzt, im Sein. Drei Sekunden für einen Gedanken.

Ist der Homo oeconomicus des 21. Jahrhunderts vielleicht unterfordert? Wird er also nicht gefordert? Wohl gefördert, für wahr. Sich seiner Herkunft bewusst sein, tut Not. Oder doch nicht? Zukunft braucht Herkunft, tatsächlich? Geiz ist asexy und global. Global ist auch Lifestyle, unverwechselbar unisono banal; dito der Homo novus, egal wo auch immer, Maß gebend für den Homo oeconomicus. Wirklich? Die Artigkeiten im Großen, verkannt als Großartigkeiten, in Wirklichkeit liegen diese im Kleinen, beispielsweise im "Kleingedruckten" der AGBs, der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, oder nicht?

Werte gründen sich auf Einstellungen. Einstellungen speisen sich aus einem Bewusstsein. Und welche Quellen nähren das Bewusstsein? Wann beginnt hier die Nahrungsaufnahme, die bewusste? Wer hegt und pflegt diese Logistikkette, die lebenslange? Und in welcher Güte? Ergo Klasse 0, Klasse I, Klasse II, Klasse III? Welches Gütesiegel, das vermeintliche, tragen Sie, verehrte Leserin, geehrter Leser?

Nachfolgend eine Darstellung über die Vorstellung « Bewusstsein » aus dem 17. Jahrhundert sowie eine Darstellung aus dem 20. Jahrhundert _

255075.click B BEWUSST SEIN overview picture Robert Fludd

Abbildung 1 Ansicht "Bewußtsein" aus dem 17. Jahrhundert, erstellt von Robert Fludd, *1574 †1637, alias Robertus de Fluctibus

Web  hermetic.com/sabazius/fludd.htm

Copyright Abbildung 1 © Urheberrecht, Hinweis: Diese Bilddatei ist gemeinfrei, ihre urheberrechtliche Schutzfrist ist abgelaufen; dies gilt für die Europäische Union, die Vereinigten Staaten von Amerika, für Kanada und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers.

255075.click B BEWUSST SEIN dwds.de Kollokationen

Abbildung 2 Der Begriff "Bewußtsein" und die automatisch berechneten Kollokationen aus dem DWDS Kerncorpus

Web  dwds.de

Copyright Abbildung 2 © Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, DE, All Rights Reserved

KOLLOKATION Inhaltliche Kombinierbarkeit sprachlicher Einheiten miteinander DWDS Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache. Das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart, Editor Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, DE

BEWUSST SEIN
Copyright © MMVI et seqq. HUMBERG Germany
All Rights Reserved



// 2017

Protagonisten im Fokus:

der paternalistische Journalist

Authors Ullrich, D. / Diefenbach, S.
Ullrich  Forscher am Lehrstuhl für Medieninformatik
Diefenbach  Professorin für Wirtschaftspsychologie
Ludwig-Maximilians-Universität Germany

Der paternalistische Journalist will nicht nur nüchtern berichten, er will die Gesellschaft lenken. Er sieht es als seine Aufgabe und Verantwortung, die Welt mit den ihm gegebenen Mitteln zu verändern - natürlich nur zum Guten hin. Dass er hierbei mitunter das Vertrauen der Leser in ihn als neutralen Berichterstatter missbrauchen muss, nimmt er in Kauf. Es dient ja einem höheren Ziel.

Hierfür bedient er sich verschiedener Werkzeuge tendenziöser Berichterstattung wie Euphemismen und Kampfbegriffen, oder er liefert dem Medienkonsumenten Interpretationshilfe durch Adjektive, damit dieser auch sicher versteht, was Gut und Böse ist. Unschöne Wahrheiten, die dem Leser allzu starke Bauchschmerzen bereiten könnten, werden von diesem ferngehalten. Stattdessen nutzt der paternalistische Journalist die Sprache, um schönere Wahrheiten zu schaffen.

Dabei folgt er dem Verständnis, dass er mit der über die Sprache vermittelte Realität auch die Realität selbst ändern kann - denn die Vorstellung der Realität ist die Realität. Durch die richtigen Formulierungen und Benennungen kann eine gute Welt entstehen, so die Überzeugung. Es gibt unendliche Möglichkeiten, für das Gute einzutreten, und so wird der Journalist vom Berichterstatter zum Weltretter selbst.

Um den Leser an die ihm zugewiesene Rolle als Kleinkind zu gewöhnen, verdeutlicht der paternalistische Journalist diesem regelmäßig, wie unwissend und hilflos er ist und dass er vollkommen überfordert ist, nüchterne Fakten allein zu interpretieren. So werden die vom Journalisten gelieferten Erklärungen der Welt von vielen Lesern dankbar angenommen.

Einige Leser jedoch interpretieren die gut gemeinte Realitätsverdrehung als Bevormundung und entziehen dem paternalistischen Journalisten ihr Vertrauen. Der Vertrauensverlaust bleibt dem Journalisten nicht unverborgen. Doch seine Grundüberzeugung (Sprache erzeugt Realität) lässt ihm nur einen Weg: noch stärker gegen die Realität anschreiben. Immer in der Gewissheit, das Gute zu tun. Immer in der Hoffnung, dass die fehlgeleiteten Leser endlich verstehen. Immer in der Erwartung, dass sich die Realität an das Geschriebene anpassen werde. Dadurch, dass jedoch nur an der Vorstellung der Realität operiert wird, wird die Diskrepanz zwischen Darstellung und Realität immer größer - und der Vertrauensverlust ebenso.

Copyright © riva Verlag, imprint of Münchner Verlagsgruppe GmbH, DE All Rights Reserved


Seite 36
Protagonisten im Fokus:
der paternalistische Journalist
ISBN 978-3-7423-0342-4 Hardcover
Authors Ullrich, D. / Diefenbach, S.
Publisher riva Verlag, imprint of Münchner Verlagsgruppe GmbH, parent company Bonnier Media Deutschland GmbH, a national subsidiary of Bonnier Holding AB, SE

ES WAR DOCH GUT GEMEINT
Wie Political Correctness unsere freiheitliche Gesellschaft zerstört
2017  Release Date 2017/09/11
Hardcover First Edition | 2024 second hand
www.m-vg.de/impressum/
www.bonnier.de
www.bonnier.com


// 1997

Politisch korrekt oder intolerant?

Author Eco, U.
Professor für Semiotik Universität Bologna
Italienischer Schriftsteller
*1932 †2016

In einem früheren Streichholzbrief hatte ich behauptet, daß die Political Correctness, in Amerika entstanden, um die Rechte der unterdrückten Minderheiten zu verteidigen und sich jeder Form von rassistischer Diskriminierung entgegenzustellen, im Begriff sei, sich in einen neuen Fundamentalismus zu verwandeln. Und Fundamentalisten, die annehmen, daß es von einer Wahrheit nur eine einzige Version geben könne, weshalb sie alle anderen als abwegig verwerfen, müssen zwar nicht notwendig intolerant sein (sie könnten anderen gestatten, nicht fundamentalistisch zu sein), aber sie laufen ohne jeden Zweifel Gefahr, es zu werden, indem sie alle diejenigen aus der Gemeinschaft der Rechtgläubigen ausschließen, die sich nicht an die »richtige« Interpretation der Texte halten.

Einer meiner Freunde, Professor an einer amerikansichen Universität, hat mir folgenden Fall erzählt. Er ist Raucher, in den Universitätsgebäuden darf man nicht rauchen, und deshalb geht er in den Pausen zwischen zwei Vorlesungen zum Rauchen hinaus. Auch unter den Studenten gibt es Raucher, die ebenfalls hinausgehen; sie treffen sich draußen und plaudern zehn Minuten miteinander. Ich mache es übrigens ebenso: Meine Vorlesungen dauern zwei Stunden, ich unterbreche sie in der Mitte für zehn Minuten, gehe in den Garten oder auf die Straße, um eine Zigarette zu rauchen, und unterhalte mich dabei mit den Studenten, die dasselbe schlimme Laster haben (das ich wohlgemerkt nicht billige, aber so geht's eben zu in der Welt).

Nun ist mein amerikanischer Freund von einigen nichtrauchenden Studenten beim Präsidenten seiner Universität angezeigt worden, und zwar mit folgender Begründung: Indem er sich draußen mit den rauchenden Studenten unterhalte, stelle er mit ihnen zum Schaden der nichtrauchenden ein privilegiertes Verhältnis her. Dieses privilegierte Verhältnis verletze die Regeln der Chancengleichheit, und daher sei sein Verhalten zu mißbilligen. Wie man sieht, geht es in diesem Fall nicht um Respektierung einer Minderheit, die zuvor unterdrückt worden war oder potentiell unterdrückbar wäre, sondern höchstens um die Selbstverteidigung einer Mehrheit vor der Gefahr, zu einer benachteiligten Minderheit zu werden.

Es ist leicht einzusehen, daß ein so besorgtes Eintreten für die Rechte jeder Gruppierung zu einer gefährlichen Intoleranz gegenüber allem und jedem führen kann. Man könnte beispielsweise zum Gesetz erheben, daß ich nicht die Person heiraten darf, die ich liebe, sondern nur die, die mir zugewiesen wird, damit die Rechte aller ethnischen Minderheiten respektiert werden (so daß ich dann keine Chinesin heiraten darf, wenn zehn Chinesinnen schon verheiratet sind, sondern eine Inderin oder eine Finnin nehmen muß, damit alle ethnischen Minderheiten gleiche Chancen haben).

Einer der größten Verfechter eines radikalen Liberalismus (der für die Rechte eines jeden eintritt, zum Beispiel auch derer, die sich zum Freitod entschließen) ist Ronald Dworkin, der letzte Woche die Würde eines juristischen Ehrendoktors der Universität Bologna erhalten hat. In seiner Dankesrede sprach er genau über das Problem der akademischen Freiheit.

Die Erfindung der Universität (die übrigens im Mittelalter und genau in Bologna stattfand) sei ein großes Ereignis gewesen, sagte er, weil sie die Existenz einer Lehrinstitution etabliert habe, die nicht nur institutionell unabhängig von der politischen und religiösen Macht sein sollte, sondern in der auch jeder Lehrende ideologisch unabhängig von der Institution selber sein müsse. Eine revolutionäre Idee, die den Fortschritt der abendländischen Wissenschaft allererst möglich gemacht hat.

Mit der Political Correctness wird nun jedoch diese Freiheit in Zweifel gezogen. Ein Professor für englische Literatur wird aufgefordert, keine Vorlesung über Shakespeares Othello zu halten, weil die Figur des eifersüchtigen Mohren, der schließlich zum Mörder wird, die afro-amerikanischen Studenten beleidigen könnte; er darf auch nicht über den Kaufmann von Venedig sprechen, weil Shakespeare sich in dieser Tragödie nicht immun gegenüber einem populären Antisemitismus gezeigt hat (auch wenn Shylock eine großartige Figur ist). Aber er wird sogar entmutigt, eine Vorlesung über Aristoteles zu halten, wenn das zur Vernachlässigung der Philosophie und Mythologie eines afrikanischen Volksstammes führt (dessen Nachkommen die Universität besuchen).

Daß es richtig und nützlich ist, sowohl Aristoteles als auch die Mythen der Dogon zu behandeln, steht außer Frage. Leider bestraft aber heute die Political Correctness den, der Aristoteles lehrt, und belohnt den, der Vorlesungen über die Dogon hält. Was eine Form von Fanatismus und Fundamentalismus darstellt, die nicht besser ist als jene, in der man einst lehrte, daß Aristoteles die menschliche Vernunft verkörperte und die Mythen der Dogon nur Ausdruck einer primitiven Mentalität seien.

Es ist richtig, wenn eine Universität, wie übrigens auch ein Gymnasium, Platz für die Lehre aller möglichen Sichtweisen läßt. Deswegen bin ich seit langem dafür, daß in einer guten Schule gelehrt werden sollte, was in der Bibel steht, was in den Evangelien, was im Koran und was in den Schriften Buddhas. Aber jemandem zu verbieten, über die Bibel zu sprechen (die er gut kennt), nur weil er dann nicht über den Koran spricht, ist eine gefährliche Form von Intoleranz, maskiert als Respekt vor den Meinungen anderer.

Copyright © Carl Hanser Verlag, DE
All Rights Reserved


Seiten 30 bis 33
Politisch korrekt oder intolerant?
ISBN 978-3-446-19906-4  Hardcover
Author Eco, U.  *1932 †2016
Publisher Carl Hanser Verlag München Wien 2000

Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmaß
2000  Release Date 2000/07/31
Hardcover 5th Edition | 2024 second hand
www.hanser.de/impressum/
umbertoeco.it